
KREUZLINGEN – Valeria Weingardt (17) kommt in der 6. Klasse an den Talent-Campus Bodensee, ist 3 Jahre an der NET, anschliessend 1 Jahr am SBW EuregioGymnasium. Ihre Hauptbeschäftigung: eine umweltschonende Zahnbürstenhülle aus Birkenrinde entwickeln, mit der sie Furore macht. 2021 erhält sie in Nürnberg an einer internationalen Fachmesse für Ideen, Erfindungen und Neuheiten die Goldmedaille des Junior Awards; in den Jahren darauf macht sie die ersten 10'000 Euro Umsatz und wagt sich 2023 in die «Höhle der Löwen», als jüngste Unternehmerin in der 10-jährigen Geschichte der deutschen Unterhaltungsshow. Eine aussergewöhnliche Geschichte.
Mark Riklin
Köln, MMC-Studio, im Frühling vor einem Jahr. Die 16-jährige Valeria Weingardt wagt sich in die «Höhle der Löwen», um ihre preisgekrönte Zahnbürstenhülle aus Birkenrinde vor fünf erfolgreichen Unternehmern zu präsentieren. «Ich bin 16 Jahre alt und habe einen Wunsch, wie ich in dieser Welt leben möchte: mit Zero Waste», beginnt die Jung-Unternehmerin ihre beeindruckende Präsentation.
Handschlag-Deal
Bereits seit fünf Jahren entwickelt sie Produkte aus dem antibakteriell wirkenden Naturmaterial und stellt sie in Eigenproduktion her, investiert in wissenschaftliche Studien und besucht an der Uni Vorlesungen in Literatur und Rechtswissenschaften. Die ersten 10'000 Euro Umsatz sind erreicht, für die Weiterentwicklung sucht sie nun Geldgeber. Die «Löwen» sind beeindruckt und voller Anerkennung für ihren Mut. Trotzdem steigt einer nach dem anderen aus. Bis auf einen: Handelsprofi Ralf Dümmel verliebt sich auf Anhieb in die umweltschonende Idee und ist bereit, einen Handschlag-Deal einzugehen. Für 60.000 Euro fordert er 25,1 Prozent ihrer Firmenanteile. Nach kurzer Beratung mit ihrem «Telefonjoker», ihrer Mutter, entscheidet sich Valeria, das Angebot anzunehmen.
Die jüngste Gründerin
Auch die Medien sind begeistert. «16-Jährige bricht Altersrekord und holt Deal», lautet die Headline in der Schweizer Illustrierten. Noch nie in der 10-jährigen Geschichte der deutschen Unterhaltungsshow hat sich eine so junge Gründerin den erfahrenen Investorinnen und Investoren gestellt. Doch wer ist diese junge Frau? Und wie kam sie auf die innovative Idee? Bereits mit zwölf Jahren hat die Schülerin die Frage beschäftigt, wie der Planet Erde gerettet und Müll vermieden werden kann. Besonders auf Reisen ärgerte sie sich darüber, dass sie keine umweltfreundliche Aufbewahrungsmöglichkeit für ihre Zahnbürste fand. Mit Birkenrinde entdeckte sie eine Alternative und ihre Gründungsidee: «Birkenrinde ist von Natur aus antibakteriell, wasserabweisend, atmungsaktiv und sehr pflegeleicht.» So gründet sie «Betula Natura» und entwickelt ihr erstes Produkt: eine Zahnbürstenhülle aus Birkenrinde.
Hinter heruntergelassenen Storen
Entstanden ist die Idee 2018 im Rahmen eines Start-up-Weekends bei «Next Entrepreneurs», die sie im Schülerlabor der Uni Konstanz weiterentwickeln konnte. Voraussetzung für diese zeitaufwändige Leidenschaft war ein flexibles Schulmodell mit massgeschneidertem Stundenplan, den sie am Talent-Campus Bodensee gefunden hat. Jederzeit durfte sie freie Tage beanspruchen, den Schulstoff und Lernkontrollen später nachholen. Diese Flexibilität habe ihr sehr geholfen, insbesondere während der Coronazeit, als traditionelle Bildungswege durch die pandemiebedingten Einschränkungen erheblich eingeschränkt waren und das Labor an der Uni geschlossen wurde. «So haben wir am TCB die Storen runtergelassen und Valeria bei uns im Labor arbeiten lassen, zusammen mit ihrer Partnerin von der Uni Konstanz», erinnert sich Sarah Rappold, die Co-Leiterin des Talent-Campus Bodensee. Ohne diese Unterstützung wäre das Projekt während der Coronazeit wohl «gestorben».
Die Magie des Waldes
Schon seit früher Kindheit ist Valeria naturverbunden. Im Schrebergarten lernt sie, wie biologische Unkrautregulierung funktioniert, im Wald Pilze und Wildkräuter unterscheiden. Valeria liebt es, die Magie des Waldes und der Natur zu erkunden und in ihren Produkten erlebbar zu machen. «Ich möchte ein Stück unverfälschte Natur nach Hause bringen», beschreibt Valeria die Motivation, die sie antreibt. Im Laufe des Projekts konnte sie viele wissenschaftliche Erkenntnisse gewinnen. Zum Beispiel über die Tatsache, dass flüchtige organische Substanzen (Terpene), die von Bäumen ausgeschüttet werden, positive physiologische und psychologische Effekte auf Menschen haben. «Die unsichtbaren und wohltuenden Substanzen, die der Wald bietet, sind genau das, wonach sich Menschen in unserer hektischen Welt sehnen.»
Deal geplatzt
Zurück zur «Höhle der Löwen», ein ganzes Jahr später. Es ist wieder April, Valeria inzwischen 17 Jahre alt, die 15. Staffel des VOX-Formates geht über den Sender. Die «Wirtschaftswoche» nimmt die Ausstrahlung zum Anlass, Valeria in einem grossen Interview zum Stand der Dinge zu befragen. Der Deal sei letztlich doch nicht zustande gekommen, sagt sie, aufgrund unterschiedlicher Vorstellungen, über welche Vertriebswege die Produkte an die Kunden gebracht werden sollten. «Das ist typisch für Valeria», sagt Sarah Rappold, die sie als Coach mehrere Jahre auf ihrem Weg begleitet hat: «Valeria weiss genau, was sie will und was nicht, hat eine ausgeprägte Fähigkeit, ihren eigenen Weg zu gehen, sich selbst treu zu bleiben und auf die eigenen Stärken zu vertrauen, und den Mut, ein attraktives Angebot auszuschlagen, wenn es nicht ganz passt.»
Handwerk statt Massenanfertigung
Talent-Campus Bodensee, Mitte Juni 2024. «Das Geld steht nicht im Vordergrund», sagt Valeria anlässlich des Omega-Treffens der Lernhausleiter:innen aus der Schweiz und Deutschland. «Ich möchte es langsam angehen, nachhaltig wachsen, Schritt für Schritt die Marke entwickeln und das Produkt-Portfolio erweitern. Handwerk ist ihr wichtig, die Birkenrinde, die ihr Zulieferer aus der Nähe von Dresden für eigene Produkte nicht mehr verwenden kann, wird von ihm geschält und gestanzt. In der eigenen Manufaktur werden die Stanzlinge dann von Hand zu fertigen Produkten vernäht. Neue Produkte wie hochwertige Peelings und Seifen aus Birkenrinde werden in der Manufaktur in Nürnberg ebenfalls von Hand hergestellt. Und auch die Vertriebswege sollen nachhaltig sein: «Unsere Produkte müssen nicht gleich über den Grosshandel vertrieben werden», sagt Valeria im Interview mit der «Wirtschaftswoche», «es reicht völlig, wenn Betula Natura zunächst diejenigen erreicht, die sich für unsere Produkte und unsere Philosophie interessieren». Eine junge Frau, die definitiv weiss, was sie will.