Kariem
Hussein

Arzt & Leichtathlet



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«Jeden Tag ein Stück besser werden»

Im Sommer 2014 ist Kariem Hussein ganz oben angelangt. Praktisch aus dem Nichts stürmt der Schweizer Leichtathlet zum Europameister-Titel über 400 Meter Hürden. 7 Jahre später lässt ihn eine neunmonatige Sperre so tief fallen wie nie zuvor. Ein Gespräch über Passion, Resilienz und darüber, was wir vom ehemaligen SBWler (2004/05) lernen können.

MARK RIKLIN

Dienstagabend, 10. Januar 2023. Punkt 19:00 Uhr schaltet sich Kariem Hussein auf «Zoom» dazu, um von seinem Werdegang zu erzählen. Seit drei Monaten arbeitet Kariem im Zürcher Seefeld 40% als Assistenzarzt in einer Sportarzt-Praxis, hilft bei hausärztlichen Beschwerden und v.a. Sportler:innen, die Probleme mit ihrem Bewegungsapparat haben. Den Rest der Woche verbringt der Hürdenläufer mit Trainings und dem Schreiben seiner Doktorarbeit im Bereich Mikronährstoffe, physischer Aktivität und Gehgeschwindigkeit älterer Menschen.

«Mit Abstand das beste Schuljahr»

Kariem erinnert sich an seine Zeit an der SBW (2004/05), als ob es gestern gewesen wäre. «Ich habe damals Leute gebraucht, die mich geführt und an mich geglaubt haben», sagt Kariem. Solche Persönlichkeiten habe er am damaligen WBJ (Weiterbildungsjahr) eine ganze Reihe gefunden: Claude Stucki, Bo, Peter Fratton, Elmar Schmid und vor allem auch Mirella Ryser hätten ihn «extrem weitergebracht». «Er war grossgewachsen, lässig, schüchtern zugleich, höflich, verlässlich, verspielt, noch kein Leichtathlet, aber ein äusserst talentierter Fussballer», erinnert sich Mirella Ryser. Jeden Freitagnachmittag hätten sich die Vorbereitung auf die Kantiprüfung und der Einstieg ins Fussballwochenende konkurrenziert, wobei der Fussball meist Vorrang hatte. «Für Kariem war die Kantiprüfung nicht prioritär. Ich wusste aber: Der kann das.» Input-Modell, Lernatelier, die vielen Kurz-Tests, das Out-of-the-Box-Denken sowie Fächer wie Psychologie oder Philosophie haben ihm so zugesagt, dass er bereits nach einem halben Jahr zum «Master of Learning» gekürt wurde und die Kantiprüfung bestand, nachdem es bei den ersten beiden Anläufen noch nicht klappen wollte. «In diesem Jahr habe ich in meiner Entwicklung einen riesigen Sprung gemacht, das Weiterbildungsjahr ist mit Abstand mein bestes und schönstes Schuljahr gewesen.»

Europameister

18 Jahre später. Kariem Hussein ist inzwischen 34 Jahre alt, sein damaliger Traum, eines Tages Arzt zu werden, ist umgesetzt: Im Oktober 2018 schloss er seine Ausbildung zum Mediziner mit dem Staatsexamen ab. Parallel zum Studium wandte sich der begeisterte Fussballer der Leichtathletik zu, versuchte sich in verschiedenen Disziplinen und entschied sich schliesslich für den 400-Meter-Hürdenlauf. Bereits in seinem ersten Rennen (2009) wurde sein grosses Talent sichtbar, verpasste er doch nur knapp die Qualifikation für die U23-Europameisterschaften. 5 Jahre später (2014) stürmte Kariem an der Heim-EM in Zürich praktisch aus dem Nichts zum Europameister-Titel über 400-Meter-Hürden – ein unglaublicher Erfolg.

Schockmoment

Kariem kennt neben den Höhen auch die Tiefen eines Spitzensportlers. 7 Jahre nach seinem grössten Erfolg stürzte ihn eine Unachtsamkeit nach dem Rennen in die tiefste Krise seines Lebens. Wegen einer positiven Urinprobe auf eine im Training erlaubte Substanz wurde der beste Hürdenläufer der Schweiz im Sommer 2021 für die Olympischen Spiele in Tokyo gesperrt. Eine Lutschtablette, die Kariem nach dem Wettkampf und vor der Kontrolle zu sich nahm, wurde ihm zum Verhängnis. Ein unbeabsichtigtes Versehen, das einen grossen Traum platzen liess. Ein maximaler Schockmoment sei das gewesen, noch nie in seinem Leben sei er so an seine Grenzen gekommen, erinnert sich Kariem, «klinisch tot» habe er sich gefühlt, kaum noch Ruhe und Schlaf gefunden.

Kämpferherz

Wie mit so einer Situation umgehen? Zwei Optionen habe er gehabt: Daran wachsen oder daran zerbrechen. Wer Kariem Hussein kennt, weiss um sein Kämpferherz. Aufgeben war nie eine Option. Im Gegenteil: Von Anfang an wollte er sich der unliebsamen Herausforderung stellen, möglichst schnell wieder aufstehen und weitermachen. Und jeden Tag auf allen Ebenen ein Stück besser werden – physisch, mental und spirituell. Das ganze Potential abrufen. «Wer auf drei zählen kann, darf nicht bei zwei aufhören», sagt der Schriftsteller Gregor Brand. Begabung verpflichtet. Wo die Gaben liegen, liegen auch die Aufgaben. Kariem lebt nach solchen Grundsätzen, möchte täglich weiterwachsen, ein Leben lang. «Ein Baum, der nicht mehr wächst, ist tot.»

Carpe diem

Was wir von Kariem Hussein alles lernen können? Eine ganze Menge. Seine Ehrlichkeit, seine Authentizität. Sein unbändiger Wille, sein Antrieb. Seine Bereitschaft, immer wieder die Komfortzone zu verlassen, sich neuen Herausforderungen zu stellen und daran zu wachsen. Das Beste aus seinem Leben machen zu wollen. Den Tag zu nutzen im Sinne des Leitmotivs «Carpe diem», so wie es im SBW-Lerntagebuch des damaligen Lernpartners stand.

 

kariem.ch
wikipedia.org/wiki/Kariem_Hussein

 

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