
Ein Sprung ins kalte Wasser
ROMANSHORN – Ende September ist mit Celina Hug (25) eine ehemalige Mediamatikerin der SBW Neue Medien (2012-2016) in den Romanshorner Stadtrat gewählt worden. Ein Gespräch über ihren Werdegang und die ersten Wochen im Stadtrat.
MARK RIKLIN
Sonntagabend, 25. September 2022, 18 Uhr 23. «Eine junge Frau für Romanshorn» lautet auf dem Onlineportal der Tagblatt Medien die Schlagzeile des Artikels, der über den zweiten Wahlgang für den vakanten Romanshorner Stadtratssitz berichtet. «Es ist unglaublich, ich muss es erst sacken lassen», sagt Celina Hug (25), die es noch gar nicht fassen kann, dass sie soeben mit klarem Abstand auf die Konkurrenz die Ersatzwahl für sich entscheiden konnte.
Präsidentin der Hafenkommission
10 Tage später. In der Sitzung vom 4. Oktober 2022 konstituiert sich der Stadtrat für den Rest der Legislaturperiode 2019-2023. Celina Hug übernimmt von ihrer zurückgetretenen Vorgängerin das Ressort «Freizeit und Sport», ist ab sofort im Amt (ca. 20%) und damit für Vereinskontakte, Jugendpolitik, Jugendraum, Sport- und Bewegungsförderung sowie Sport- und Freizeitanlagen verantwortlich. Über Nacht wird die Grünliberale so u.a. zur Chefin der Hafenkommission, beschäftigt sich mit Mietverträgen und der Hafenordnung. Noch hat die Newcomerin weder Ahnung vom Hafen noch Erfahrung in der Führung meist doppelt so alter Kommissionsmitglieder.
Learning by doing
Ohne Vorbereitung sieht sich die junge Frau von einem Tag auf den anderen mit fachlichen Fragen konfrontiert, die auf Antworten warten, die sie selbst auch noch nicht kennt. Ein steiler Einstieg, ein Sprung ins kalte Wasser. Ein Glück, dass ihr kaltes Wasser keine Angst macht, im Gegenteil. Im wörtlichen Sinne hat sie das Strampeln und Überwasser-Halten im Schwimmclub Romanshorn gelernt, im übertragenen während ihrer Berufsausbildung als Mediamatikerin EFZ mit BMS bei den SBW Neue Medien (2012-2016). «Dort habe ich mich in immer wieder neuen Projekten durchfragen und erst herausfinden müssen, wie es funktionieren könnte, sei es als Mitglied eines IT-Netzwerk-Projekts oder als Co-Leiterin des Freifachs Multimedia im SBW SportKV.»
Am Puls der Zeit
Allerheiligen. «Eigentlich wäre heute mein erster Arbeitstag als Marketing-Mitarbeiterin an der Fachhochschule OST in St.Gallen (80%)», sagt Celina Hug, während sie im überfüllten Panem am hintersten Tisch Platz nimmt. Der erste Tag fällt auf einen Feiertag, sodass sie heute von den ersten Wochen im Stadtrat und ihrem Werdegang erzählen kann. Die mediamatische Grundbildung sei auch für die neue Aufgabe als Stadträtin ein gutes Fundament, gebe es doch heute kaum noch eine Frage, die nicht mit digitalen Aspekten verknüpft sei. Als junge, medienaffine Frau fühle sie sich am Puls der Zeit, müsse aber aufpassen, dass sie sich den Rollenerwartungen an eine Stadträtin nicht zu sehr beuge, um nicht plötzlich eine 40jährige Politikerin zu verkörpern, die sich von der eigenen Person entfernt habe. «Ein innerer Kampf zwischen Person und Rolle, der mich immer wieder beschäftigt. Was darf ich noch, was nicht?» Sanna Marin, die Ministerpräsidentin Finnlands, könne ein Lied davon singen.
Politische Ader
Erste Erfahrungen in der kommunalen und kantonalen Politik macht Celina Hug seit 2020 als Mitglied des Vorstands der GLP Thurgau und der GLP Bezirk Arbon. Zudem ist sie Gründerin der Thurgauer Sektion der GLP Frauen, die sie aktuell im Co-Präsidium leitet. An den Grossratswahlen im März 2020 kandidierte Celina Hug erstmals für den Thurgauer Grossen Rat und belegte das zweitbeste Listenresultat. Dass sie das damals gesetzte Ziel, es in fünf Jahren in den Stadtrat zu schaffen, bereits nach zwei Jahren erreichte, überrascht sie selbst wohl am meisten. Andere hätten ihre politische Ader früher entdeckt, ihre Mutter zum Beispiel habe schon immer gesagt, sie hätte ein viel zu grosses Maul, irgendwann müsse sie etwas daraus machen, zum Beispiel in die Politik gehen.
Engagement für Menschen mit Fluchthintergrund
Nochmals zurück zum Schwimmen, das sich wie ein roter Faden durch den Lebenslauf von Celina Hug zieht. Seit bald drei Jahren engagiert sie sich im Verein AKIN (Aktion Integration St.Gallen) als Schwimmlehrerin im Ehrenamt. Jeden Donnerstagabend begleitet sie im St.Galler Hallenbad «Blumenwies» Menschen mit Fluchthintergrund ins Wasser und ermutigt sie, ihre Ängste und Traumatas zu überwinden und neues Vertrauen zu finden. Langsam gewöhnen sie sich ans Wasser, fassen Mut, machen plötzlich Fortschritte. Wenn der eine Mann nach x Versuchen im Kinderschwimmbecken erstmals den Kopf unters Wasser hält und der andere erstmals im grossen Becken nach Ringen taucht, sind das berührende Erfolgserlebnisse. Dieses Engagement wolle sie auf keinen Fall aufgeben, auch dann nicht, wenn die Abendtermine als Stadträtin weiter zunehmen werden.