«Freestyle» als Leitmotiv
WIL/ROMANSHORN – Jan Räbsamen ist ein Freestyler durch und durch. Die Berufsausbildung an den SBW Neue Medien (2017-2021) nutzte der heutige Student der Sozialen Arbeit unter anderem auch dafür, seine Leidenschaft als Rapper voranzutreiben. Ein Gespräch kurz vor den diesjährigen Schweizer Meisterschaften im Freestyle-Battle.
Text: Mark Riklin | Bild: Nikolaj Leu
Bahnhof Wil, kurz nach 15 Uhr, die nächste Station auf meiner Reise zu ehemaligen SBWlern. In der Bahnhofsunterführung nimmt mich Jan Räbsamen (26), den ich aus seiner Zeit bei den SBW Neue Medien flüchtig kenne, in Empfang. Auf dem Weg in die Altstadt erzählt er mir von seinem Zivi-Jahr in einer Kleinklasse und seinem Studium der Sozialen Arbeit an der Berner Fachhochschule, das er vor ein paar Wochen begonnen hat. «Nicht alle können sich so ausleben, wie ich es kann», sagt der 26jährige Student, der in Zukunft Menschen in anspruchsvollen Lebenssituationen unterstützen möchte.
Zeit für Leidenschaften
Inzwischen haben wir in Gino’s Kunstcafé Platz genommen. Angezogen habe ihn in Bern neben der Stadt das flexible Studienmodell, das ihm ermögliche, das Studium im Teilzeit-Modus zu absolvieren und dadurch 2 bis 3 Tage pro Woche Zeit für eigene Ideen und Leidenschaften zu gewinnen: einen nachhaltigen Christbaum gestalten, für den «Gare de Lion» Veranstaltungen planen, für den Kantonalverband der Pfadi grafische Arbeiten machen, die eigene Rap-Band «Projekt ET» promoten und zwischendurch auch mal dem Nichtstun frönen.
Headliner
Die nächsten Tage steht seine Leidenschaft als Rapper «Epik» im Vordergrund: am Freitagmittag im Studio Features aufnehmen, am Abend im Winterthurer «Kraftfeld» als Headliner auftreten, am Samstagabend in Bern an den Schweizer Meisterschaften im Freestyle-Rap (Ultimate MC Battle) teilnehmen und am Sonntag als Wochenabschluss in der Heimatstadt Wil ein Presseshooting durchführen. Ein volles Programm, für einmal bleibt nicht viel Zeit zum Nichtstun.
Rap-Battle
Was den Freestyle-Rap betrifft, brauche ich Nachhilfe. Jan Räbsamen führt mich ein in Idee und Ablauf des Battles. Für die Schweizer Meisterschaft qualifiziert sind jene 16 MCs (Master of Ceremonies), die in regionalen Battles am meisten Punkte geholt haben. «Epik» steht in der Battle-Liga zurzeit mit 5 Punkten auf Platz 8 der Jahresrangliste. Im Turniermodus treten die MCs gegeneinander an, versuchen den Gegner mit möglichst fantasievollen Beleidigungen in Form von Reimen anzugreifen. Alle zwei Takte wechselt der Sprechgesang vom einen zum andern, eine Jury entscheidet über den Sieger.
Schlagfertigkeit
Eine Art Boxkampf, bei dem das Diffamieren (Dissen) des Gegners und die übertrieben positive Darstellung der eigenen Person im Mittelpunkt steht. Definitiv nichts für Schmuserapper. Ein Wettkampf, der Intuition, Intelligenz, Spontaneität und Schlagfertigkeit erfordert. Wie man sich darauf vorbereiten kann, frage ich. Vor sich hin rappen, das Gehirn auf Reimschemas trimmen, mit dem Freestyle Rap-Wortgenerator «Rapscript» das Repertoire erweitern. Oder mit einem Freund zwei Stunden «batteln», um im Rhythmus zu bleiben und so richtig in Fahrt zu kommen.
Rampensau
Jan Räbsamen liebt es, auf der Bühne zu stehen und «live auszuarten», wie er sagt. Dass er mit 9 Jahren auf den Pfadinamen «Röhre» getauft wurde, scheint also kein Zufall zu sein. Begonnen hat er mit Rappen 2016. Ein Jahr später hatte er sich mit Gian-Andri Stahl, einem Pfadi-Freund, zum Rap-Duo «Projekt ET» zusammengeschlossen. Seither machen sie «radikali Chlikunst», wie es in einer Zeile des Songs «Füür» heisst, rappen auf ihrem Album «Planet Erdbeertörtli» über Kuchen, Konsumwut und den Klimawandel, und haben regelmässig Auftritte, im laufenden Jahr 16 Konzerte.
Soft Skills
Neben dem Aufbau der Band hatte Jan Räbsamen an den SBW Neue Medien seine Berufsausbildung als Mediamatiker gemacht und viele Freiheiten genossen. Neben Fremdprojekten (Bsp. Videoclips für den Bildungsclub der Pro Infirmis) blieb viel Zeit für Eigenprojekte. So kamen seine mediamatischen Fähigkeiten auch seiner Band zugute, wenn er Covers gestalten oder Videoclips schneiden konnte. Gleichzeitig konnte er seine Soft Skills weiterentwickeln, die er in 16 Jahren Pfadi – 3 davon als Abteilungsleiter – trainieren konnte: Projektleitung, Konzeptarbeit, Teamleitung etc.
Incubator
Fähigkeiten, auf die er im 3. und 4. Lehrjahr bei der Stutz Medien AG in Wädenswil zurückgreifen konnte, als er mit der anspruchsvollen Aufgabe betraut wurde, die Vision eines Ausbildungs-Start-ups für junge, kreative Menschen in der Medienbranche umzusetzen. Als «Planner» und «Content Creator» war er für Logo, Farbkonzept, Web- und SocialMedia-Auftritt sowie die Gestaltung der Räumlichkeiten verantwortlich – eine Pionierphase mit allem, was dazugehört. Im März 2021 war es dann endlich soweit, der «Incubator» konnte live gehen.
Viertelfinale
Kurz vor 17 Uhr, Zeit zum Aufbruch. Jan Räbsamen verabschiedet sich Richtung Süden, um seine «Too Good To Go»-Bestellung abzuholen, ich mit den besten Wünschen für die bevorstehenden Schweizer Meisterschaften Richtung Bahnhof. Ein paar Tage später melde ich mich nochmals, um mich nach Verlauf und Ausgang des Freestyle-Battles in Bern zu erkundigen. «Hätte besser laufen können», schreibt Jan Räbsamen, im Viertelfinale sei er nach einem hart umkämpften Battle ausgeschieden. Die nächste Chance kommt bestimmt.