Wo Träume fliegen lernen
MELS – Eva Maron (52) ist eine Traumverwirklicherin erster Güte. Immer wieder hat die ehemalige SBWlerin bewiesen, ihre Träume gegen Widerstände zu verteidigen und eines Tages zum Fliegen zu bringen, sei dies den Traum von der Schauspielerei oder den Traum eines eigenen Hotels. Seit drei Jahren ist sie in Mels für Aufbau und Leitung des neuen Kultur- und Kongresshauses «Verrucano» verantwortlich. Ein Besuch vor Ort.
Text: Mark Riklin, Bild: Gabriela Müller
«Verrucano. Das rötliche Gestein hat den Namen von Mels weit in die Welt hinausgetragen. Wie der markante rote Stein geniesst auch das Verrucano in Mels eine unvergleichbare Anziehungskraft.», heisst es auf der Webseite des neuen Melser Leuchtturms (2020). Eine Ankündigung, die nicht zu viel verspricht. Rotviolett leuchtet mir die Aussenfassade entgegen, als Referenz an die Reben, die in Mels gedeihen, weshalb die Architekten ihr Projekt zuerst «Pinot noir» nannten. Eva Maron (52), seit April 2019 Geschäftsführerin des Kultur- und Kongresshauses, führt mich durch den imposanten Bau: durch Seminar- und Banketträume, Künstlergarderoben und den Löwensaal, mit 744 Plätzen das Herzstück des Kulturhauses. Noch immer duftet es nach frischem Holz, ein paar Techniker justieren einzelne Licht-Einstellungen, sonst ist es still im Haus.
Meister Zufall
Eva Maron erzählt mir vom Zufall, wie sie zu ihrer neuen Aufgabe gekommen ist. Als sie sich für den Kauf einer Loft-Wohnung in der ehemaligen Weberei der alten Textilfabrik Stoffel entschied, ahnte sie noch nicht, wie nah ihr zukünftiger Arbeitsort einst liegen würde. «Auf einem Rundgang durch den Dorfkern habe ich im Schaufenster einer ehemaligen Bäckerei verstaubte Modelle eines Kulturhauses entdeckt und über die ambitionierten Pläne des Bauerndorfes gestaunt», erinnert sich Eva Maron. Als sie sich wenig später bei der Kulturvereinigung «Altes Kino Mels» als freiwillige Mitarbeiterin vorstellte und von der Stellenausschreibung erfuhr, bewarb sie sich mit 40 anderen Kandidatinnen und Kandidaten.
Werdegang
Wer im Lebenslauf von Eva Maron blättert oder ihren Wikipedia-Eintrag studiert, stösst auf einen illustren Werdegang: Berufslehre als Dekorationsgestalterin; Schauspielerin in Theatern und Kabaretts von Berlin, Wien etc. und in Fernsehserien wie «Die Wache» oder «Alarm für Cobra 11» vor einem Millionen-Publikum; Leiterin der Talentagentur am Gastro- und Touristik-College der Academia Euregio Bodensee; Gastgeberin des Hotel «WunderBar» in Arbon und des «Hirschen» in Wildhaus – eine Vielseitigkeit, die Kultur, Gastronomie und Hotellerie verbindet und seinesgleichen sucht. Kein Wunder, hatte sich die Jury für Eva Maron entschieden.
Schlüsselrolle
Rückblende 1 ins Jahr 1985. Eine Schlüsselrolle in ihrer Entwicklung habe das Weiterbildungsjahr an der SBW gespielt. «Fünf Kernfächer waren gesetzt, den Rest konnte ich selbst zusammenstellen und meine Leidenschaften vertiefen», sagt Eva Maron. Peter Fratton, ihr Coach, habe ihren Traum der Schauspielerei ernst genommen und aktiv gefördert. So kam es, dass sie gemeinsam mit ihm und Claude Stucki auf der Bühne des Theaterensembles «Theagovia» stand und das Endzeitstück «Plutokraten oder die Rattenzüchter» aufführte. Während der gestalterischen Ausbildung half sie hinter den Kulissen beim Kostüm- und Bühnenbild mit, machte Erfahrungen als Regieassistentin. Nach abgeschlossener Lehre arbeitete sie während zweier Jahre als Schauspielerin am Theater Bilitz, bevor mit der Schauspielausbildung in Berlin die Lehr- und Wanderjahre ihren Anfang nahmen.
Personalunion
Zurück in der Gegenwart der heutigen Leiterin des Kongresshauses. Seit drei Jahren ist sie nun hier. «Die neue Aufgabe vereint alles, was ich mir im Laufe meines Lebens angeeignet habe», sagt Eva Maron. Die neue Station liest sich deshalb wie die logische Fortsetzung des bisherigen Weges, im «Verrucano» werden die Bäche der gesammelten Erfahrungen zum Fluss, bündeln sich ihre Fähigkeiten zum Paket: den Sinn für die dramaturgische Gestaltung von Räumen; das Verständnis für die Abläufe und Bedürfnisse eines Künstlers; den gepflegten Umgang mit Kunden; das Talent, 1000 Sachen gleichzeitig im Auge zu haben; die Fähigkeit, Situationen aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Wenn mal Not am Mann bzw. an der Frau ist, kann sie jederzeit auf Figuren aus früheren Lebensabschnitten zurückgreifen, je nach Bedarf auf Ave Maroni, die gute alte Butlerin; auf Erika, die Servicefachkraft; auf Jasmin Löwe, die Polizistin; oder auf die flotte Lotte, die sie in Personalunion in administrativen Belangen unterstützt.
Warteschlaufen
Das Büro im Parterre des Melser Rathauses teilt sie mit ihrem Mitarbeiter Leo Lutz, der für den Hausdienst und die Eventbetreuung zuständig ist. Während Eva Maron auf eine markantere Brille umsteigt, fällt mein Blick auf eine blaue Mappe mit der schwungvollen Aufschrift «In der Warteschlaufe». «Warten ist nicht mein Ding», gesteht die temperamentvolle Frau, dafür sei sie zu ungeduldig. Der kreative Umgang mit Warteschlaufen hingegen schon. Diesen zu üben, dazu gab ihr Leben immer wieder Anlass. Als die Bewilligung für das Hotel WunderBar in Arbon aufgrund eines Rechtsstreits nicht eintreffen wollte, entschied sie sich für eine ambulante Eröffnung [YouTube]. Als die Absagen während der Pandemie wieder zunahmen, nutzte sie die Zeit, Entscheidungsträger ins Boot zu holen und das «Verrucano» auch strukturell auf stabile Beine zu stellen.
Festanstellung
Rückblende 2. Zeit, sich neu zu sortieren und einen Moment innezuhalten, gab es auch im Jahre 2002. Damals hatte sie es satt, auf die Film-Rolle einer Polizistin reduziert zu werden, und stieg deshalb aus dem Seriengeschäft aus. Mangels konkreter Angebote hielt sie Ausschau nach einer Festanstellung und wurde an der SBW fündig. Erneut wurde Peter Fratton zum Türöffner, der sie an die SBW Frauenfeld und die neu gegründete Academia Euregio Bodensee in Romanshorn vermittelte. «Zurück am Bodensee liess ich mich inspirieren von einer anderen Art zu denken und zu handeln, Talente wahrzunehmen und wachzuküssen, meine Art von Führungsschule», erzählt Eva Maron.
Weltreise
Eva Maron ist eine Traumverwirklicherin erster Güte. Immer wieder hat sie bewiesen, ihre Träume im Auge zu behalten, gegen Widerstände zu verteidigen und sich neuen Herausforderungen zu stellen. Hat sie nun ausgeträumt? Nein, natürlich nicht. Eine grosse Reise habe sie nie gemacht. Mit dem Rucksack unterwegs sein, ein halbes Jahr, ein Jahr vielleicht. Wohl eine Frage der Zeit, bis die nächste Warteschlaufe auftaucht.