Etienne
Ettlinger

Audiovisueller Geschichtenerzähler

LinkedIn


Die perfekte Synthese zweier Welten

Was tun, wenn ein Traum platzt? Das Beispiel von Etienne Ettlinger (30) zeigt, wie Leidenschaften entstehen, sich entwickeln und manchmal auch wandeln. Ein Gespräch mit dem ehemaligen SBWler über Faktoren, die auf dem eigenen Weg entscheidend sein können: vom Umfeld in der Kindheit, Mentoren, Inspirationen, Schlüsselsituationen bis hin zu Zufällen.

Von Mark Riklin

15. November 2017. Unter dem Titel «Der geplatzte Traum von der Profikarriere» berichtet die Thurgauer Zeitung von einem, der auszog, um in den USA Profi-Basketballer zu werden: vom jungen Romanshorner Etienne Ettlinger. Eigentlich habe er nicht aufgeben wollen, sondern neu durchstarten, Stärke beweisen, sagt der 22-Jährige gegenüber der Zeitung. Nach drei Jahren habe er jedoch beschlossen, die Reissleine zu ziehen, seinen Traum zu begraben und wieder in den Thurgau zurückzukehren.

Audiovisueller Geschichtenerzähler
8 Jahre später möchte ich wissen, was aus dem jungen Mann geworden ist. Meine Recherche im Internet führt mich auf die Homepage der Firma «Mind Blown», wo ich Angaben zu seiner neuen Passion finde: Etienne hat ein neues Feld als audiovisueller Geschichtenerzähler gefunden, durch die Kombination von Klanglandschaften und bewegten Bildern versucht er, sein Publikum zu fesseln und zu inspirieren. Als Filmemacher und Komponist entwirft er heute Handlungsstränge, statt Bälle im Korb zu versenken.

Schlüsselfaktoren
Meine Neugier ist entfacht. Ich möchte genauer erfahren, wie er den Wandel vom ambitionierten Basketballspieler zum audiovisuellen Geschichtenerzähler geschafft hat, und treffe Etienne – inzwischen 30 Jahre alt – in einem Café in der Nähe des Winterthurer Bahnhofs. In einem zweistündigen Gespräch lassen wir die ersten 30 Jahre seines Lebens zurückspulen, schauen zurück auf wichtige Momente und Stationen seines Werdegangs und suchen nach Schlüsselfaktoren, die auf seinem Weg entscheidend waren: das Umfeld in der Kindheit, Mentoren am Wegrand des Erwachsenwerdens, Inspirationen und Zufälle.

Die erste grosse Leidenschaft
Beginnen wir von vorne. Etienne wächst in einem inspirierenden Umfeld auf, das seine Neugier von klein auf fördert. Seine Mutter, selbst Sängerin, prägt früh seine Liebe zur Musik, er klimpert schon auf dem Mickey-Mouse-Klavier, bevor er sprechen kann. Schon bald erkennt er: Musik ist eine eigene Sprache.

Mit fünf Jahren beginnt er Klavier zu spielen und ist überzeugt, dass er eines Tages Pianist werden würde. Doch eine einzige Enttäuschung lässt die Freude schlagartig verfliegen. Mit zehn Jahren tretet er bei einem Musikwettbewerb an. Voller Ehrgeiz wählt er ein etwas zu schwieriges Stück von Chopin. Aus Nervosität spielt er zu schnell, verhaspelt sich und verpasst dadurch das Finale. Für Etienne bricht eine Welt zusammen, der erste große Traum zerplatzt.
„Eigentlich dachte ich, ich werde einmal Pianist …“, sagt Etienne rückblickend. Noch heute nagt dieses Erlebnis an ihm, weil er sein musikalisches Talent aus heutiger Sicht grösser einschätzt als sein sportliches…

«Der wird mal Profi»
Weihnachtsbazar an der Primarschule Spitz in Romanshorn. Mit dem Gewinn des Bazars soll der Pausenplatz neugestaltet werden. Die Mittelstufe wünscht sich zwei Fussballtore, die Unterstufe einen Basketballkorb. Die Jüngeren machen das Rennen. Obwohl Etienne eigentlich gegen den Basketballkorb war, wird sich der Entscheid eines Tages als glückliche Fügung erweisen…
Nach der Schule spielt Etienne den Fussball oft allein gegen die Schulhaus-Wand. Etwas verträumt, wie er sagt. Im Gefühl, eines Tages an einer Weltmeisterschaft ein entscheidendes Tor zu schiessen. Als der Ball zufällig Richtung Basketballkorb rollt, nutzt Etienne die Gelegenheit, den Ball im Korb in kindergerechter Höhe zu versorgen. Auf Anhieb macht es einen riesigen Spass, eine Schlüsselerfahrung.

Seit diesem Tag übt Etienne Basketball. Zuerst mit dem Fussball, dann mit einem alten Basketball, den der Vater in der übervollen Garage aus eigenen Basketball-Zeiten findet. Und es geht nicht lange, bis er ins Basketballtraining geht und als Talent erkannt wird.
Im ersten Training hängen die Körbe plötzlich höher. Der Trainer zeigt Etienne, wie man einen Korbleger macht. Etienne geht nach Hause, übt täglich allein auf dem Pausenplatz, sodass er im nächsten Training fast jeden Korb macht. Worauf sein Trainer Wolfgang Wagenleitner sagt: «Der wird mal Profi!» Ein Satz, der sich in seinem Kopf festsetzt. Ab diesem Zeitpunkt ist klar: «Das ist meine Bestimmung, ich bin ein Basketballspieler, ich werde eines Tages Profi.»
Das Talent ist entdeckt, Basketball ab diesem Moment ein Jahrzehnt lang das alltagsbestimmende Element im Leben von Etienne. Die Entwicklung geht schnell vorwärts: 1 Jahr später wechselt er nach Weinfelden…
Parallel dazu beginnt sich Etienne für Technik zu interessieren. Sein Vater bringt ihm den Umgang mit Medien nahe und zeigt ihm erste Schnittprogramme. Neugierig und experimentierfreudig „leiht“ sich Etienne immer wieder den Kassettenrecorder aus, überspielt Tapes – und stibitzt später die Familienkamera, bis er schließlich zur Erleichterung aller eine eigene bekommt.

Widerstand
In der Schule fühlt sich Etienne weniger wohl. Den Kindergarten hatte er übersprungen, bereits mit 5 Jahren ist er von der Spielgruppe direkt in die 1. Klasse eingestiegen, weil er endlich lesen und schreiben lernen wollte. Jünger als die anderen fühlt er sich immer ein bisschen allein mit seinem Denken, will aber doch dazugehören. Um ja nicht aufzufallen oder herauszustechen, muss er sich zurückhalten und auf die Bremse stehen.
Noch schwieriger wird es in der Oberstufe. Die anderen sind schon in Pubertät, Etienne noch kleiner, zudem hat er es als künstlerischer Typ schwerer als der sportliche. Im Freifach belegt er Textiles Werken, weil er gerne näht, immer wieder muss er sich rechtfertigen, weil er der einzige Junge unter Mädchen ist. Etienne macht sein eigenes Ding, was zunehmend auf Widerstand stösst, eine andere Lösung drängt sich auf.

Kräftemessen auf der Couch
Ende 2. Oberstufe. Der Schnuppertag an der damaligen Nationalen Elitesportschule (NET) erweist sich als Offenbarung: «Da haben alle Pfupf, haben alle Energie, da wollen alle.» Schlüsselszene nach dem Mittagessen: Raufen auf der Couch, querbeet, mitten hinein ins Gewühl, Kräftemessen tut Etienne gut, sofort wird er Teil. Ein NET-Schüler fragt am Nachmittag: Und, wann kommst du? Sobald wie möglich! Danach geht es nur noch um Formalitäten. An der NET nochmals in die 2. Oberstufe, damit er gleich alt ist wie die anderen Schüler. Etienne fühlt sich ab sofort wohl, ist plötzlich richtig gut in der Schule und schafft die Kantiprüfung problemlos.
Der damalige Leiter Mirko Spada gibt ihm vieles mit: den athletischen Bezug, den eisernen Willen, eine gewisse Disziplin. Ganz nach Spada Leitspruch «Go hard or go home». Die NET ist sehr wichtig für Etienne: von Gleichgesinnten umgeben, die Passion haben, die ambitionierte Ziele haben, sich als Teil eines Ganzen fühlen, sich identifizieren können. Ein Wendepunkt. Die Kindheit geht zu Ende, endlich geht es los. Ein Moment, den sich Etienne schon viel früher in der Mittelstufe gewünscht hätte: sich selbst sein dürfen, Gas geben dürfen.
Und Etienne gibt Gas. Nach zwei Jahren an der NET steigt er ein in die Sportklasse an der PMS in Kreuzlingen, macht einen Austausch an einer Highschool in Kanada und erhält nach seiner Zeit an der PMS die einmalige Chance, in einem kalifornischen College Basketball zu spielen. Bis der Traum nach drei Jahren platzt und eine Hüftdysplasie verhindert, auf den Platz zurückzukehren.

Eine überraschende Entdeckung
Szenenwechsel. Im Kino, während einer Dokumentation über Filmkomponisten, macht Etienne eine überraschende Entdeckung: wie viel er eigentlich für diesen Beruf mitbringt. Plötzlich sieht er einen Weg, in die Musik zurückzufinden.
Schon seit Kindertagen spielte er Lieder nach Gehör nach, ohne zu wissen, dass dies eine besondere Fähigkeit ist. Nun fügt sich alles zusammen: Er braucht nur noch jemanden, der einen Film dreht, zu dem er die Musik komponieren kann. Oder noch besser: Er ist selbst der Filmer…
Die Leidenschaft fürs Filmen begleitet ihn ohnehin schon lange. Angefangen hatte alles mit der Videokamera des Vaters, die er sich heimlich auslieh, um kleine Filme zu drehen. Später bekam er eine eigene Kamera, mit der er seine sportliche Karriere dokumentierte. Ein nahtloser Anknüpfungspunkt, der die beiden Welten – Bild und Musik – miteinander verbinden könnte.

Der Mut zur eigenen Leidenschaft
Es sollte aber noch ein bisschen dauern, bis sich die Leidenschaft für Musik durchsetzt. Etienne studiert an der Universität Zürich BWL – obwohl er eigentlich viel lieber an der ZHdK Filmkomposition belegen würde. Mehrere Jahre lang lebt er damit in einem Kompromiss, der ihn an die Zeit als Primarschüler zurückerinnert: zurückgenommen, angepasst, ohne das zu tun, wozu er sich eigentlich berufen fühlt.
Der Durchbruch gelingt in einem Kurs zu Personal Branding. Für die Abgabe reicht Etienne ein Dossier mit selbst gestaltetem Jingle und Logo ein und beeindruckt damit seinen Professor René Algesheimer so sehr, dass dieser ihn direkt ermutigt: «Du musst sofort anfangen. Geh deinen eigenen Weg, trau dich, dich aus dem Fenster zu lehnen.»
Diese Worte sind entscheidend. Etienne beendet zwar noch die Marketing-Module, steht dann aber vor einer Wahl: weiter für Prüfungen lernen – oder Filme drehen. Die Entscheidung fällt eindeutig aus. Die Ermutigung von offizieller Seite, direkt aus der Uni, gibt ihm das Vertrauen, seine Leidenschaft konsequent zu verfolgen, auch wenn das bedeutet, das Studium nicht abzuschließen.

Film-Premiere
Zeitsprung in die Gegenwart. Heute geht Etienne unbeirrt seinen Weg, hat sich als audiovisueller Geschichtenerzähler eine Existenz aufgebaut. Zurzeit schneidet er einen Film über den HC Rychenberg (Arbeitstitel «Titelträume»), den er 2024 gemeinsam mit Raphael Mahler auf dem Weg zum ersten Titel nach 28 Jahren begleiten sollte. Es kam anders: Der HCR schied als klarer Favorit früh aus. Aus dem kann man keinen Film machen, nur Tränen und Enttäuschung, war Etienne klar. In der nächsten Saison kam es besser: als klarer Aussenseiter gegen den gleichen Gegner hat der HCR den Cup gewonnen. (Februar 2025) Fast schon kitschig, aber dramaturgisch perfekt. Mitte November findet die Premiere statt.

Ein Eisbad, das kalt bleibt
Aber noch nicht genug. Parallel zu seiner Arbeit als freischaffender Filmer baut Etienne ein zweites Unternehmen auf, gemeinsam mit seinem zwei Jahre älteren Bruder Maurice, der ebenfalls eine SBW-Vergangenheit (WBJ) hat. Zusammen haben sie das Startup «Theralpine» gegründet und vor kurzem erfolgreich auf den Markt gebracht. Seither vertreibt das junge Unternehmen hochwertige Eisbäder, die das Wasser «dank branchenführender Isoliertechnologie» überdurchschnittlich lange kühl halten.
Mit seinem Hintergrund in Design und Film bringt Etienne ein ausgeprägtes Gespür für Storytelling und visuelle Klarheit in die kreative Leitung von Theralpine ein. Er gestaltet das gesamte Markenerlebnis, von Optik und Haptik bis hin zu Stimme und Ton, und sorgt für eine konsistente, durchdachte Identität.
Etienne entdeckte die Vorteile der Kältetherapie bereits vor über einem Jahrzehnt, als er in den USA als College-Basketballspieler eine chronische Hüfterkrankung behandelte. Eisbäder halfen ihm damals, Entzündungen zu reduzieren, Schmerzen zu lindern und im Spiel zu bleiben.
Nach jahrelanger Pause spielt er heute wieder Basketball, aus reiner Freude am Spiel. Doch nach dem Training fühlte er sich anfangs, als hätte ihn ein Felsblock überrollt. Durch regelmässige Eisbäder konnte er das ändern: Drei Mal pro Woche verbringt er inzwischen 8 bis 10 Minuten in seiner Wanne auf dem Balkon und hält so seine Entzündungen in Schach.

Musik und Medien im Blut
Unser Gespräch neigt sich dem Ende entgegen, wir schauen nochmals zurück und staunen über all die Faktoren, die eine Rolle spielen, wenn es darum geht, die eigene Leidenschaft zu entdecken, zu entwickeln und manchmal auch zu wandeln. Eine besonders wichtige Rolle spielt dabei die Familie. «Ich habe sehr farbige Erinnerungen an meine Kindheit und bin meinen Eltern unglaublich dankbar, dass sie mich in meiner Entwicklung so unterstützt, gefördert und getragen haben, ohne je Druck zu machen. Meine Eltern haben mich geprägt, früh mein Interesse für Musik und Medien geweckt.» Heute verbindet er beides. Der Film ist die perfekte Synthese dieser Welten.

 

www.mindblown.studio
Pitch-Trailer «Titelträume» (2025)
«Passion - Dream Chaser» (2022)
«Hoop Dreams» (2017)

Back