Die nächste SBW-Generation mitprägen
HÄGGENSCHWIL – Anna von Flüe (34) träumt gerne gross, seit diesem Sommer wieder an der SBW. Die ehemalige Lernpartnerin (2002-2012) zog es zurück zu ihren schulischen Wurzeln, um der SBW etwas zurückzugeben. Ihr Traum: Dass «Mindfulness» in der SBW eines Tages so normal wird wie die Wörter «Lernpartner, Lernbegleiter und Lernatelier».
Von Mark Riklin
«Wenn meine Freunde mich fragen, was ich in meinem Job am liebsten mache, dann ist die Antwort klar: Ich liebe es, mit Jugendlichen zu arbeiten, und zwar überall, vom Coaching über die Hauptfächer und CréAktivas bis zu Lagerwochen. Und wenn sie mich fragen, wo ich das machen möchte, ist die Antwort ebenso klar: an der SBW. Meine SBW-Zeit hat mich aufs Innerste geprägt, gerne möchte ich die nächste SBW-Generation mitprägen und der SBW etwas zurückgeben.»
Im Briefkasten der SBW Häggenschwil
So beginnt das eindrückliche Bewerbungsschreiben, das Anna von Flüe (34) anfangs Mai auf den Weg geschickt hat und im Briefkasten der SBW Häggenschwil landen liess. Drei Monate später ist sie Teil des Lernbegleiter-Teams, unterrichtet als Stufenleiterin der 2. Secundaria Deutsch, Englisch, Medien & Informatik und RZG, begleitet Jugendliche als Coach, leitet das CréAktiva Mindfulness. Und ist überglücklich, wieder dort gelandet zu sein, wo sie zehn Jahre ihres Lebens verbracht hat: 2002-2005 an der SBW Secundaria in Frauenfeld, 2005-2006 am SBW Progymnasium in Romanshorn, 2006-2010 an der SBW Neue Medien, 2010-2012 als ausgebildete Mediamatikerin wieder in Frauenfeld.
Aufnahmegespräch als Schlüsselerlebnis
«SBW bedeutet für mich schulische Wurzeln, respektvoller Umgang, Kommunikation auf Augenhöhe und am wichtigsten: Dass jeder so sein darf, wie er ist», sagt Anna von Flüe. SBW bedeute für sie ein Stück Heimat. Hier habe sie sich erstmals angenommen gefühlt, im Frühling 2002, als sie mit ihrer Mum zum Aufnahmegespräch ins Frauenfelder Lernhaus gekommen sei. «Gemeinsam mit Bruno Heimgartner, dem damaligen Lernhausleiter, sassen wir im Büro, um die Ergebnisse des Aufnahmetests zu besprechen. Und da ist es passiert. Bruno Heimgartner war der erste Lehrer in meiner gesamten Schulzeit, der meine Stärken gesehen und benannt hat, ohne das berühmte aber, das alles sofort wieder zerstört hätte. Das Gefühl, endlich mal als diese Schülerin gesehen zu werden, die ich wirklich bin, hat mich umgehauen, haut mich bis heute um, wenn ich daran denke.»
Zutrauen und zumuten
An der SBW habe sie immer wieder das Glück gehabt, in ihren Potentialen erkannt zu werden. Als ihre Mutter der Auffassung war, dass sie Mathe-Nachhilfe brauche, ging sie zum Mathe-Lernbegleiter und sagte: «Meine Mum sagt, ich brauche Nachhilfe.» Der Lernbegleiter habe sie ungläubig angeschaut und gesagt: «Du? Dir gebe ich sicher keine Nachhilfe, du kannst das selber.» Stolz sei sie mit dieser Nachricht zu ihrer Mum gegangen, die zum Hörer gegriffen habe. Der Lernbegleiter aber habe seine Aussage nochmals bestätigt: «Anna gebe ich keine Nachhilfe, die kann das.» Seit diesem Tag habe sie in Mathe nie mehr eine Note unter einer 5.5 geschrieben.
Gedankenkarussell
Diesen Sommer sei der Zeitpunkt gekommen, der SBW etwas zurückzugeben, sagt Anna von Flüe: «als Coach Jugendliche mit vollem Einsatz zu unterstützen; als Lernbegleiterin aufzuzeigen, dass der Stoff doch nicht ganz so schwer ist, wie er manchmal scheint; und im CréActiva «Mindfulness» zu vermitteln, dass Gedanken keine Fakten sind und wie man vom Gedankenkarussell wieder abspringen und im Hier und Jetzt landen kann.» Ein höchst relevantes Angebot für Jugendliche, die an allen Ecken und Enden (Schule, Freunde, Eltern) Stress haben, Mühe haben mit ihrem Selbstwert, schlecht einschlafen und sich schlecht bis gar nicht von den Erwartungen abgrenzen können, die Social Media an sie stellt.
Schicksalsschlag
Zum Thema «Mindfulness» brachte sie ein Schicksalsschlag. Vor acht Jahren hatte ihr Vater einen schweren Hirnschlag. «Reden, Lesen, Schreiben – Dinge also, die für die meisten Menschen absolut selbstverständlich sind – wurden für mich über Nacht zu einem der grössten Geschenke. Ein Geschenk, das gepflegt und gehegt werden will», schreibt Anna von Flüe auf ihrer Website. «Ich wusste, dass der Hirnschlag eine Folge von zu viel Stress und Arbeit und zu wenig echter Entspannung war.» Die Frage nach Entspannungstechniken lag auf der Hand. Nach einer Yogalehrer-Ausbildung liess sie sich in London im Bereich «Mindfulness in Schools Project» (MiSP) weiterbilden, in St.Gallen absolvierte sie einen Zertifikatslehrgang zur Lehrperson der Achtsamkeit in der Bildung, bevor sie an der Stadtschule St.Gallen während mehreren Jahren mit Erfolg ein Mindfulness-Programm implementierte.
Sorgenfreier Einstieg ins Wochenende
Seit ein paar Wochen profitiert nun die SBW Häggenschwil von all diesen Erfahrungen. Das CréAktiva sei sehr gut angelaufen, sagt Anna von Flüe in einer ersten Zwischenbilanz. «Die Jugendlichen merken jeden Nachmittag ein bisschen mehr, dass es gut ist zu spüren, von wo der Stress kommt, wo sich die einzelnen Gefühle im Körper abspielen, und dass es sich nicht lohnt, in eine Konfrontation einzusteigen, der Mittelweg für alle Beteiligten besser ist. Mehr als die Hälfte hat bereits angekündigt, dass sie wieder kommen, weil das Gefühl nach dem CréAktiva so toll sei und das Wochenende so sorgenfrei beginne.»
Mindfulness-Camp
Wovon sie als nächstes träume? «Ich träume gerne gross und freue mich über jeden kleinen Schritt. Mein Traum ist es, dass Mindfulness in der SBW so normal wird wie die Wörter: Lernpartner, Lernbegleiter, Lernatelier und «Sie, das schisst mi a». Ein Lernhaus übergreifendes Mindfulness-Camp wäre natürlich auch eine ganz coole Sache.»