Preisträger mit
SBW-Vergangenheit
Christopher Gilb (CG), 31, Wirtschaftsredaktor bei der Luzerner Zeitung, ist Ende August mit dem Zürcher Journalistenpreis 2021 ausgezeichnet worden. Der ehemalige SBWler im Gespräch mit seinem ehemaligen Lehrer Mark Riklin (MR).
(MR) Mit grosser Freude und auch ein bisschen Stolz habe ich Ende August im Kaufleuten miterlebt, wie dir der Zürcher Journalistenpreis verliehen wurde. Du hast immer gross geträumt, jetzt hast du es geschafft. Was bedeutet diese Auszeichnung für dich?
(CG) Sehr viel, gute Artikel sind extrem aufwendig und verlangen viel Herzblut, manchmal ist man danach richtiggehend müde. Im Tagesjournalismus muss aber nach jedem Artikel der nächste Artikel kommen, denn die Seite muss gefüllt werden. Deshalb ist es schön, wenn ein grosser Einsatz einmal speziell honoriert wird. Ausserdem zeigt mir der Preis auch, dass ich mir zutrauen darf, oben in der Branche mitzuspielen.
(MR) Lange ist es her, dass sich unsere Wege an der SBW Herisau überschnitten haben. Ich sehe dich im «K2» am runden Tisch sitzen. Es ist Mittwochmorgen, Punkt 10 Uhr wird der Literaturunterricht unterbrochen, "Radio Navigo" meldet die neusten Nachrichten. Erinnerst du dich?
(CG) Natürlich erinnere ich mich. Es war schon besonders, wie Du Talente gefördert, indem Du passende Aufgaben geschaffen hast. Ich erinnere mich aber auch, dass ich in der Pubertät oft anderes im Kopf hatte, und es mich manchmal fast genervt hat, auch noch irgendwelche Radiomeldungen kreieren zu müssen, aber ich habe es gemacht.
(MR) Mit 13 Jahren konntest du deinen Namen erstmals in der Zeitung lesen. Mit Abstand habe ich mich gefragt, ob es aus pädagogischer Sicht richtig war, dich so früh zu belohnen und meine Co-Autorenschaft zu verschweigen?
(CG) Ich mich auch. Aber Du hast mir eigentlich damals schon gezeigt, was ich einmal sein könnte, und es hat funktioniert. Ich war vielleicht nicht der, der den Artikel alleine geschrieben hat, aber für Aussenstehende sah es so aus. Ich denke, das hat mir Selbstvertrauen gegeben.
(MR) Lange hattest du dich nicht um die Form geschert. Deine Bandwurmsätze ohne Punkt und Komma, fast alles klein geschrieben, waren Ausdruck davon. Ab wann hast du dich auch für die Form interessiert?
(CG) Als ich es bei meiner ersten Anstellung als Journalist können musste und plötzlich gemerkt habe, dass es gar nicht so schwierig ist. Es war für mich eine wichtige Erfahrung im Berufsleben, dass man auch die unangenehmen Sachen können muss, um mehr Zeit für die angenehmen zu bekommen. Aber ich bin immer noch kein Experte in Sachen Satzzeichen, als Journalist hat man ja kleine Helferlein.
(MR) Erinnerst du dich an einen besonders schwierigen Moment auf deinem Weg?
(CG) Als ich ins Volontariat einer grossen Zeitung wechseln wollte, es aber hiess, Bewerber ohne Studienabschluss nehmen wir prinzipiell nicht. Da dachte ich, ich hätte doch auf einige Familienmitglieder hören sollen, die mir immer wieder sagten, nur mit einem Studium würden mir alle Türen offen stehen.
(MR) Wie hast du es geschafft, diesen schwierigen Moment zu überwinden?
(CG) Ich habe mich gefragt, wieso ich eigentlich wechseln wollte und gemerkt, dass ich mich in der Ausbildung unterfordert oder vielleicht für meine Leistung nicht richtig wertgeschätzt fühlte. Ich habe mich dann innerhalb des eigenen Zeitungsverbunds nach einer Festanstellung als Redaktor umgesehen und dies mit Erfolg, es ging also doch aufwärts und seitdem immer weiter. Das war für mich immer ganz wichtig, weiter zu kommen und nicht stehen zu bleiben und deswegen in ein Motivationsloch zu fallen.
(MR) In regelmässigen Abständen habe ich deinen Weg in den letzten Jahren mitverfolgt, deinen Namen immer wieder mal gegoogelt, um zu schauen, was du wo machst. Du hast dich von unten heraufgearbeitet, dir bei den «St. Galler Nachrichten» die Sporen abverdient. Wann hattest du zum ersten Mal das Gefühl: Jetzt habe ich es geschafft?
(CG) Die Strassenumfragen bei den «Nachrichten» werde ich nie vergessen. Sie durften nicht politisch sein, sonst hätten sie vielleicht einige der Leserinnen und Leser nicht verstanden. Also ging es oft wortwörtlich ums Wetter. Ich rauchte mir mit zwei Zigaretten Mut an und sprach Pendler an, die auf den Zug warteten und deshalb nicht fliehen konnten. Geschafft – weil Du das gefragt hast – habe ich es aber noch nicht, mein Ziel war immer, möglichst ohne Einschränkungen über Themen recherchieren und schreiben zu können, die mich neugierig machen und mich bewegen, ich bin diesem Ziel aber sicher um einiges näher gekommen.
(MR) «Bildung ist das, was übrigbleibt, wenn man alles vergessen hat», sagte einst Werner Heisenberg. Wenn du an die Zeit an der SBW (2002-2005) zurückdenkst: Was ist übriggeblieben? Was hast du mitgenommen? Was hat dich geprägt?
(CG) Dass jeder Mensch Talente hat, dass es aber einen Ort wie die SBW braucht, um diese erkennen zu können. Aber auch, dass es nach der SBW keinen vergleichbaren Platz gibt, man braucht also ein gutes Selbstbewusstsein und ein Umfeld, das einem die nötige Rückendeckung gibt, um die Berufung dann auch zum Beruf machen zu können.
(MR) «Wage, wovon du träumst» lautet das Leitmotiv der SBW. Was möchtest du als nächstes wagen? Was für Träume schlummern noch in dir?
(CG) Meine Reiselust nicht nur in der Freizeit ausleben zu können. Aber vielleicht auch wieder einmal etwas Fiktives zu schreiben. Das Schöne am Journalismus ist, man lernt, die Dinge auf den Punkt zu bringen, die Schattenseite, dabei geht auch viel Fantasie verloren. Meine Frau liebt Märchen und manchmal fragt sie mich als ‹grossen Schreiber›, ob ich ihr nicht ein eigenes erzählen könnte, ich gähne dann ganz laut und vertröste sie auf den nächsten Tag, leider.
Mark Riklin (Bild: Dominik Wunderli)