Idealbesetzung der «Sechser-Position»


Von Mark Riklin


ROMANSHORN – Ein guter «Sechser» ist Gold wert. Elmar Schmid ist so einer, im wörtlichen und übertragenen Sinne. Einer, der das Spiel lesen, mögliche Verläufe antizipieren und darauf situativ reagieren kann. Was er als Amateur-Fussballer auf dem grünen Rasenjahrelang erprobte, zeigt sich heute auch in der Interpretation seiner beruflichen Rolle als Leiter des SBW Brückenangebots. Der Versuch einer Analogie.

Im modernen Fussball hat der sogenannte «Sechser» in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Zweikampfstärke, Laufstärke, Antizipationsvermögen und ein gutes Auge für die Spielsituation gehören ebenso zum Anforderungsprofil eines Sechsers wie die Fähigkeit, gut im Raum zu stehen und ein Gefühl dafür zu haben, welche Lücken zu füllen sind. Eine gewisse Autorität und gute Kommunikationsfähigkeit runden sein Profil ab.

Blindbewerbung

Oft handle es sich auf dieser Position um erfahrene Spieler, heisst es in Fachkreisen. Genau so einer ist im SBW Haus des Lernens Elmar Schmid (54), Leiter des SBW Brückenangebots, der seit über 24 Jahren unter Vertrag steht, eine ausserordentliche Konstanz und Beständigkeit beweist, die in der heutigen Zeit Seltenheitswert haben, nicht nur im Fussball. Begonnen habe die Beziehung mit der SBW mit einem riesigen Zufall, erzählt Elmar. Während seiner Referendariats-Zeit in der Nähe von Stuttgart habe ihm ein Kommilitone erzählt, er kenne jemanden, der jemanden kenne, der in der Schweiz an einer Privatschule arbeite. Obwohl ihn bis zu diesem Zeitpunkt nie etwas in die Schweiz getrieben habe, schickte er eine Blindbewerbung los. Wenig später wurde er von Claude Stucki, dem damaligen Leiter des Weiterbildungsjahres, nach Romanshorn eingeladen.

Zwei Gartenstühle und eine Matratze

Sommer 1999, Überfahrt mit der Fähre nach Romanshorn. Auf dem Parkplatz montiert der Bewerber lange Hosen, macht sich bereit fürs Vorstellungsgespräch. Claude Stucki und Christoph Bornhauser (B0) erwarten ihn im legendären Wellenzimmer, wo manch eine SBW-Geschichte ihren Anfang nahm. Bo hat er aufgrund der guten Biologienote sofort auf seiner Seite. Und auch Claude Stucki mit John-Lennon-Brille, gelbem T-Shirt und langen, schwarz gefärbten Haaren macht ihm nach kurzem das überraschende Angebot, bereits in zwei Wochen starten zu können. Uff. Zuhause drängen ihn Patricia, seine damalige Freundin und heutige Frau, und das ganze Dorf schon fast dazu, zuzusagen. Und so kommt es, dass sich Elmar Schmid nach den Sommerferien im Weiterbildungsjahr (WBJ) an der Hafenstrasse 46 wiederfindet, mit einer Matratze, zwei Gartenstühlen und einem Fernseher im Gepäck.

Ein Platz im SBW-Gefüge

«Wenn du das erste Jahr überlebst, wirst du an der SBW eine Zukunft haben», habe Peter Fratton, der Gründer der SBW, damals zu ihm gesagt. Er sollte recht bekommen, der Neuling hatte die erwartet harte Lehrzeit überlebt und dabei «viel Gras gefressen». «Neben und mit all diesen SBW Koryphäen zusammenzuarbeiten, war ziemlich happig», blickt Elmar Schmid zurück. Einen Platz im SBW-Gefüge zu finden, eine eigene Nische, die eigene Sprache und dabei authentisch zu bleiben, war Aufgabe und Herausforderung zugleich. Eingestiegen ist Elmar als Fach- und Lernbegleiter, später wurde er Coach und Teamleiter, bis er 2010/11 die Leitung des SBW Brückenangebots von Stefan Schneider übernahm, die er bis heute inne hat.

Die Nummer 10 auf dem Rücken

Zurück zur Position des «Sechsers», der im modernen Fussball durch die zunehmende Betonung der Ballkontrolle, des Spielaufbaus und der taktischen Disziplin an Beachtung gewonnen hat. Von einem Sechser wird erwartet, dass er das Spiel lesen, den Ball sicher durch das Mittelfeld bewegen, als Bindeglied zwischen Abwehr und Angriff agieren kann. Elmar Schmid hat viel Erfahrung auf dieser Position: 12 Jahre lang hat er als Amateur-Fussballer beim TSV Risstissen (Kreisliga A) und beim SG Öpfingen (Landesliga) im offensiven und defensiven Mittelfeld gespielt, die Nummer 10 auf dem Rücken, meistens als 6er interpretiert. Bezeichnend für einen, der sich nie in den Vordergrund spielt, sondern immer in den Dienst der Mannschaft stellt.

Box-to-box-Spieler

Was Elmar Schmid jahrelang auf dem Fussballplatz erprobte, zeigt sich heute auch in der Interpretation seiner beruflichen Rolle als Leiter des Brückenangebots. Als Bindeglied zwischen GL und Kanton einerseits und zwischen Lernbegleitern und Lernpartner andererseits hält er das Spiel zusammen, interpretiert seine Rolle je nach Spielsituation als Staubsauger vor der Abwehr, als tiefer Spielmacher oder als Box-to-box-Spieler, der sich für nichts zu schade ist. Im Vordergrund stehen das Antizipieren möglicher Spielverläufe und Verhaltensweisen, das Verteilen von Bällen, Rollen und Aufgaben, das Bespielen von Schnittstellen, das Wertschätzen der Mitspieler:innen. Je nach Situation lasse er sich auch mal auf die Libero-Position zurückfallen, um die Übersicht zurückzugewinnen, die Kräfte neu zu bündeln und das Feld von hinten aufzurollen. Keine Frage: Elmar ist die Idealbesetzung eines «Sechsers», im wörtlichen und im übertragenen Sinne.

Melting Pot

Diesen Sommer ist Elmar in sein 25. SBW-Jahr gestiegen, in die 17. Saison am SBW Brückenangebot. Seit 2007 führt die SBW für den Oberthurgau ein kantonales Brückenangebot. Über 1500 Jugendliche haben seither das Übergangsjahr zwischen Schul- und Berufswelt erfolgreich durchlaufen und eine passende Anschlusslösung gefunden. Elmar ist seit Anbeginn dabei, fühlt sich pudelwohl im Melting Pot «BA» mit Jugendlichen aus 15 bis 20 verschiedenen Nationen, eine quirlige, liebenswerte Truppe vom Kleinklässler bis zum potentiellen Kantischüler. Mit viel Leidenschaft und Herzblut engagiert er sich für Jugendliche, die aus bildungsferneren, mehrfach belasteten Lebensrealitäten stammen. Ihnen möchte er Chancen eröffnen, Perspektiven aufzeigen, Teilhabe an unserer Gesellschaft ermöglichen.

Der ruhende Pol

Heinz Schläpfer, Praktikums-Verantwortlicher, ist voll des Lobes über Elmario, wie er seinen Weggefährten nennt. Seit der Geburtsstunde des Brückenangebots arbeiten die beiden an der Schnittstelle zwischen Schule und Praxis zusammen. Neben vielen anderen Qualitäten schätzt Heinz Schläpfer insbesondere die Ruhe und Geduld, die Elmar auch in hektischen Zeiten ausstrahle: «Wenn alle um ihn herum die Nerven verlieren, ist er der Fels in der Brandung.» Elmar versteht es als ruhender Pol, das Spiel zu beruhigen, das Tempo zu verlangsamen und im richtigen Moment wieder anzukurbeln. Ein typischer «Sechser» eben.